Dienstag, 22. Dezember 2015

RUSSLAND - Moskau: Knoten im Verkehr

Mittwoch, 16.Dezember 2015. Gerade gestern abends habe ich in der festlich dekorierten Halle von St.Marx das 15-jährige erfolgreiche Bestehen der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft gefeiert. Zusammen mit ein paar hundert anderen (prominent: Innenministerin Mikl-Leitner und Sozialminister Hundstorfer), die an den traditionell guten Beziehungen zwischen Russland und Österreich interessiert sind und die Wirtschaftssanktionen (gerade wieder um ein halbes Jahr verlängert) als nicht zielführend und vor allem auch nicht der Wirtschaft Österreichs nützend  ansehen.  Und ich begann etwas verfrüht Weihnachten zu feiern, als ich eine weitere Prominente  kennenlernte: Snegurotschka, das hübsche Schneemädchen (oder Schneeflöckchen), von der ich bisher geglaubt habe, sie sei eine altrussische Märchenfigur. Aber sie war ganz offensichtlich real, wir verstanden uns auf Anhieb. Auch ihr weißbärtiger Papa, der im russischen Volksmund „Väterchen Frost“ genannt wird, war da. Irgendwie als uncool-frostiger Aufpasser.
(Danke, Fredi!)
Einen noch nicht ganz weißen Bart hat auch Gregorij Makazaria (die in Moskau geborene Stimme der Russian Roll-Band "Russkaja"), der mich von der Bühne mit einer rauhen Version  von „Those were the days“ und „Moskauer Nächte“ auf meine morgige Reise einstimmte.


Noch in freundschaftlicher Schneeflöckenstimmung fliege ich also heute wieder einmal nach Moskau. Werde nicht enttäuscht, der lokale Frostvater und seine Flockerltochter haben ganze Arbeit geleistet. Der Flughafen Sheremetjevo ist mit frischem Schnee bedeckt. Es ist unwarm.

Neuschnee in Sheremetjevo
Freund Vladimir holt mich ab. Die Autofahrt ins Zentrum im üblichen, heute durch Schneefall noch verstärkten Stau dauert fast zwei Stunden (darüber habe ich schon einmal in einem Blogbeitrag geschrieben  >>>). Aber so kann ich später wenigstens die üppige, fast amerikanisch-kitschige Vielfalt der Weihnachtsbeleuchtung auf den Plätzen und Boulevards im Stadtzentrum ausreichend bewundern. Ich wohne dieses Mal im luxuriösen Hotel  „President“, das zu  Sowjetzeiten das Gästehaus der Regierung war. Auch heute prominente Gäste beherbergt und von den oberen Stockwerken einen prominenten Blick auf den Moskva-Fluss, das Zar Peter-Denkmal, die riesige Erlöser-Kathedrale und sogar noch ein bisschen auf den Glockenturm des Kreml ermöglicht.



Ein leichter Nachteil: auch die Eingangskontrolle ist ziemlich sowjetisch. Korrekt-unfreundlich. Allgemeiner Vorteil: der Rubel ist so schwach, dass die Preise für ein paar Biere, typischen Hering und Schwarzbrot sowie den unvermeidlichen Begrüßungswodka (oder waren es mehrere?) hier in der Aurora-Bar des 5*-Hotels nicht höher sind als im Nordsee-Lokal bei mir am Rochus-Markt (also Wodka haben die noch nicht im Angebot).

Freitag. Moskau ist wie Bangkok. Also nicht bei Dezemberwetter oder Anzahl buddhistischer Klöster. Aber beim Verkehr. Also beim Straßenverkehr. Wobei Verkehr ja in den meisten Fällen bedeutet, dass sich etwas bewegt. Aber gerade am Freitag, vor allem nachmittags, ist das sonst übliche Verkehrschaos im Zentrum der mit elf Millionen größten Stadt Europas (mehr als die halbe Fläche des Burgenlandes) und den Ausfahrtsstraßen noch ein paar Nuancen schlimmer: eine Stehpartie. Da kriegt auch die für Moskau geltende Bezeichnung „Verkehrsknoten“ eine zusätzliche Bedeutung.

Überraschend, aber eigentlich verständlich, dass der seit Jahrzehnten an Dienstwagen und Chauffeur gewöhnte Vladimir nun auch immer mehr die Metro als effektives und zeitberechenbares Verkehrsmittel nützt. Auch ich habe beide Tage auf Taxi und Vladimirs Limousine verzichtet und alle meine Termine mit der Metro erledigt. Allerdings: angeschrieben sind die Eingänge, teils sehr langen Übergänge und Stationen noch immer nur in cyrillisch. Ich schaffe das, aber für den Durchschnittsbesucher aus dem Westen wird so eine Metrofahrt zur spannenden Rätselralley.

Um 20.30 Uhr ist mein Rückflug nach Wien. Überall steht mittlerweile der Straßenverkehr. Ich beschließe, jedes Zeitrisiko zu vermeiden und mit der speziellen Schnellbahnverbindung, dem "Aeroexpress", zum Flughafen zu fahren. Von meiner Metrohaltestelle „Oktiabrskaya“ sind es nur drei Stationen mit der alten Ringlinie zum Weißrussischen Bahnhof (an dem übrigens die Züge aus Wien ankommen). Der kurze Weg zum Aeroexpress-Terminal ist deutlich und rot beschildert. Nach kurzem Security-Check bin ich im Schalterraum.

Meine ersten Eindrücke: der Terminal ist modern, alles ist leicht zu überblicken. Im Wagon: sauber,  Klimaanlage, ausreichend Gepäckablage. Ist unserem Wiener City Airport Train sicher ebenbürtig.
Jede Reihe hat fünf Sitze (2-Gang-3). Die Bestuhlung ist ok, für eher schmal-normal gebaute Kunden konzipiert. Eigentlich doch etwas zu eng, sodass mein in dick wattiertem Anorak verpackter linker Sitznachbar fast nicht anders kann, als mich nach rechts von meinem Gangsitz zu drängen. Fünf Minuten vor der Abfahrt sind alle Sitze besetzt, jetzt geht es um die Blockierung eines halbwegs akzeptablen Stehplatzes. Inklusive Abstellplatz für Taschen, Koffer und – tatsächlich – ein Cello.


Pünktlich geht es los. Der Stehplatzbesitzer im Gang neben mir  ist mein Freund und drückt mich mit Hilfe seiner russischen Samsonite-Version zurück nach links. Klar, dass sich der Anorakträger auf einmal beengt fühlt. Ich fühle mich wie zu Hause in der U3 als ich bemerke, dass 70% der Fahrgäste an ihrem Handy hantieren. Towarisch Anorak macht plötzlich Pause bei seinem wichtigen Telefonat, räkelt sich entspannt. Da mein Kofferfreund, der Koffer, gerade schwächelt, bin ich wieder gefährdet, wichtige Sektoren meines Sitzplatzes abzugeben. Vorfreude auf die breiten, unabdrängbaren Sitze der Aeroflot kommt auf. Und auch, dass es in deren Flieger (noch) nicht möglich ist, zu telefonieren. Olga betritt unseren Waggon. Mit einem Trolley, auf dem Getränke und Sandwiches sowie, typisch russisch, auch im Winter Schleckeis angeboten wird. Ein unerwartetes Service. Anorak startet ein Nickerchen, scheint aber schlecht  zu träumen. Zuckt mit den Armen. Zweimal. Wie kann man trotz starker Daunenpolsterung so spitze Ellenbogen haben? Ich wäre jetzt soweit, einen aeroexpressstressreduzierenden Wodka zu probieren. Aber Olga hat mich verlassen, ist schon mehrere Wagen weit weg.

Es gibt auch einen Monitor im Waggon. Zur Zerstreuung und für die unvermeidbare Werbung. Ein Filmchen bereitet uns auch auf die hochtechnische Scankontrolle unseres Tickets nach Ankunft vor. Auf einmal wird die Rasierwasserausdünstung von Anorak von Kaffeegeruch überdeckt. Ein weiterer Trolley und Tatjana tauchen auf.

Sie mischt und schenkt hochkonzentriert Jacobs Monarch-Kaffee in kleine Pappbecher. Ist an dem, was nun folgt, das berühmte Jacobs-Aroma schuld? Anorak beginnt plötzlich alpzuträumen,  Freund Koffer neben mir zu husten. Hat er eine Monarchen-Allergie, ist er ein Bolschewik? Noch acht Minuten. Ähnlich wie im Flugzeug nach der Landung springen jetzt schon die ersten Fahrgäste auf (es fehlt die Bahnversion der reschen Flugbegleiterin, die alle Idioten wieder in ihre Sessel weist). Anorak ist einer der hektischten, somit kann ich es mir die verbleibenden vier Minuten im Sitz richtig bequem machen. Schon bald werden in der Schweiz  gebaute Doppelstock-Waggons zum Einsatz kommen, dann werden es Anorak, Koffer und ich und zigtausend andere richtig komfortabel haben.

Wir kommen pünktlich in Sheremetjevo an. Sofort tauchen die angekündigten Kontrollschleusen am Bahnsteig auf.

Niemand hat die Hinweise gelesen, fast niemand hat das Ticket zum Scan bereit. Stau, Gedränge. Ungeduld. Doch die Technik ist perfekt, alle gelangen wir schließlich in die große, helle Terminalhalle, in der sich russische Gastronomie, also Starbucks und Burger King, sowie Minimarkt, Buchhandlung und zahlreiche Souvenirgeschäfte breit machen. Im 3.Stock des Terminalgebäudes gibt es sogar ein Wiener Cafe (mit für k&k Beamte passenden Öffnungszeiten von 09.00 bis 17.00 Uhr; die Melange muss ich mir für das nächste Mal aufheben). Nach fast zu vernachlässigender Wartezeit und Gedränge bei einer weiteren Sicherheitskontrolle bin ich im Terminal E. Bereit zum Check in.

Aeroexpress-Verbindungen gibt es inzwischen mit allen drei Moskauer Flughäfen. In der Anfangsphase, im Juni 2009,  habe ich einmal den Aeroexpress zwischen dem Flughafen Domodedovo und dem im Zentrum liegenden Bahnhof Paveletsky ausprobiert. Ich blättere in meinen damaligen Aufzeichnungen und finde einen ebenso aufregenden Erlebnisbericht:

Der Aeroexpress ist die Moskauer CAT-Version, die moskovitische City-Airport-Verbindung ohne Zwischenstopp zwischen Stadtzentrum und Flughafen Domodedovo, dem zur Zeit (Anmerkung: 2009) modernsten Flughafen Moskaus. Den u.a. auch AUA, Flyniki, Air Berlin und Lufthansa anfliegen. Klingt gut, sehr modern, weltstädtisch. Passt zu der immer stärker in den Blickpunkt drängenden Metropole Russlands.

Ich habe Franz, einen Ruefa-Kollegen, zum Flughafen begleitet und auf den PKW-Rücktransfer verzichtet. Ich will den neuen Aeroexpress testen. Nikolai, unser Fahrer, ist happy: kein Zeitdruck mehr mit den Staus und den Baustellen am Rückweg, er kann früher bei seiner Ludmilla sein. Gleich beim Ausgang der Inlandsflugankommenden ist schon der Fahrkartenschalter. Den aus dem Ausland angekommenen, thrombosegefährdeten Passagieren mutet man offenbar einen kleinen Spaziergang, ein bisschen Kofferschleppen und Drängen durch die Schlangen der Eincheckenden zu. Immerhin, vom Kartenschalter zum Bahnsteig sind es nur 30 Meter.

Der Aeroexpress ist irgendwie ein potemkinsches Dorf. Die Tickets werden zwar modern gedruckt, ja richtig geprintet, und sind mit einem state-of-the-art-Strichcode versehen. Aber das Papier ist so dünn, dass es sich bei Entgegennahme in der Hand des schweißhändigen, kofferhenkelverschwielten Reisenden sofort einrollt, zumindest in Falten legt. Was den Strichcode sehr freut, wenn er bei der gleich dahinter liegenden, maschinellen Eingangskontrolle seinem Besitzer Durchlass und Eintritt ermöglichen soll. Der Strich ist bereits zum Linienknäuel mutiert, das auch der unsensibelste, rustikale Laserschlitz nicht aufnehmen und schon gar nicht erkennen kann. Das Verhältnis ist circa 1:5. Einem Ticketinhaber erscheint das grüne, Einlass verheißende Licht, ihm öffnet sich die gefährlich aussehende Eingangssperre des Automaten. Die anderen statistischen Fünf erstarren vor rotem Licht  – njet, kein Durchgang zum Aeroexpress. Mehrmalige Reinfudel-Versuche mit dem bereits vernudelten Hightech-Ticket bringen keinen Erfolg. Rot ist´s und die Tore ins Zentrum Moskaus bleiben geschlossen. Das merken auch die anderen, vorerst brav in der Reihe Wartenden. Und reagieren nach einigen Schocksekunden. Drängen von hinten, von links und rechts, persönlich oder mit ihren Koffern. Sie wollen einfach zeigen, dass sie die Technik beherrschen, dass sie elektronisch die besseren Russen, die Abkömmlinge der Kosmonauten sind, dass sie zur neuen, modernen Klasse der Eingangsautomatenstürmer gehören. Sie sind irgendwie erfolgreich. Jedoch unverändert im Verhältnis 1:5. Auch ich bin im Negativbereich, quasi im Rotlicht-Fünftel. Bringe zwar das Ticket in den Schlitz, aber sofort leuchtet das aggressive, unnachgiebige Ungrün auf. Ich, wir, alle Zwei bis Fünf-Vielfachen haben unseren eigenen Roten Platz. Vor dem Automaten. Kein Eintritt.

Von links werde ich plötzlich von einer etwas massiv dekolletierten Dame in den Koffer eines rechts vordrängenden, schweißtriefenden Mannes geschoben. Die Aeroexpress-Approbanten schwanken zwischen Unverständnis und Ungeduld. Die Menschentraube vor den sechs Portalen ist schnell auf rund siebzig Personen angewachsen, sie moussiert deutlich in Richtung Sturm. Ich sehe mich schon von dieser Meute und den Meutekoffern erdrückt. Sehne mich nach Nikolai und seinem großräumigen, nicht durch codiertes Ticket, sondern mit einfachem Autoschlüssel zu öffnenden Renault Logan. Doch es naht die Erlösung. In Form einer aufgelösten, falschblonden, richtigvollbusigen, uniformierten Melange aus Bahnhofsvorsteher, Hausdrachen, Kappelträger, Frustbuchtel ( © W.Ambros). Sie schaut sich noch umständlich autoritär die Ticketreste der ersten drei Fasterdrückten an, bevor sie verständnis- und mitleidsvoll mit einer Mastercard nacheinander die Sperren der Automaten löst. Den Rest lässt sie ohne Kontrolle durch. Zusammen mit den aus Antalya, Hurghada, Nha Trang und Süd-Pattaya zurückgekommenen russischen Touristen und einigen Unrussen, stürme ich den Zug. Zumindest wollen wir ihn entern.

Der Krampf, der Kampf geht weiter. Um die wenigen noch freien Plätze. Nicht jeder ist erfolgreich, ich habe doppeltes Glück. Ich ergattere einen Platz am Gang, noch dazu visavis einer hübschen, jüngeren Russin. Die ganz fest glaubt, dass sie jünger und hübsch ist. Auch ihr barbierosa Strohhut deutet auf Realitätsverlust. Wahrscheinlich war sie vor Antritt ihres Strandurlaubes auch wirklich jünger, jugendlicher. Zumindest hautmäßig. Nach erfolgreichem Sonnenbräunen (wie viele Wochen oder Monate? Was heißt eigentlich longstay auf russisch?) erinnern mich ihre Arme, ihre Wangen, ihr üppig sein sollender Ausschnitt leicht an das Rehhäutel, das ich zum Fensterputzen meines 2cv´s verwende. Natürlich vor dem Fensterputzen - ich verliere trotz dieser leichten Unannehmlichkeiten sicher nicht meinen angeborenen Wiener Charme. Und muss gendergerecht feststellen: es gibt hier auch etliche Rehhäutel-Männer. Die Strafe für meine kecken Gedanken folgt auf dem Fuß. Eigentlich in die Hüfte. Durch den Koffer eines unaufmerksamen, russischen Businessman, der lautstark per Handy mitteilt, dass er keinen Sitzplatz bekommen hat. Aber das gewisse Kofferrempel-Feeling kenne und spüre ich ja noch vom Eingang her. Habe noch ein paar unbeschädigte Rippen. Vor allem links.

Der Aeroexpress ist irgendwie ein Symbol der Widersprüchlichkeit der russischen Seele. Er ist nicht „Aero“, die Luft ist heiß, drückend, erdrückend schwül. Der Sauerstoff hat sich schon fast verflüchtigt, manche Passagiere schnappen nach Luft. Und er ist auch nicht „express“. Schon nach vier Minuten langsamer Anfahrt bleibt er stehen. Der Gegenzug muss passieren. Ein Teil der Strecke ist offensichtlich (noch; Anmerkung:2009) einspurig. Der Aeroexpress sollte so sein, wie man ihn auf den von der Decke hängenden Flachbildmonitoren sieht: windschlüpfrig, rot, mit tollem Design. Mit futuristischen, bequemen, blauen Sitzen. Airconditioned. Schnell. Tatsächlich besteht er aus alten Schnellbahnwaggons der russischen Staatsbahnen, die sicher noch Chrustschov befördert haben. Sie sind irgendwie grüngrau, das konnte ich bei der leichten Schmutzschicht aber nicht exakt erkennen. Und die Sitze (wie im Airbus in der Konfiguration 3-Gang-3) sind irgendwie auch graudüster, gut durchgesessen. Die fast gereinigten Fenster haben schmale Lüftungsschlitze, die uns Fahrgästen den gesundheitlichen Vorteil bieten, dass es nicht zuviel zieht oder Krankheitskeime eindringen können...

Nun, diese Zeit ist vorbei. Gerade vor ein paar Tagen wurde der supermoderne Paveletsky Rail Terminal eröffnet. Der Aeroexpress ist heute eine tolle, zumeist komfortable, jedenfalls zeitsparende und umweltfreundliche Alternative zum Flughafentransfer mit PKW und Bus.

Link zum Aeroexpress

Dienstag, 17. November 2015

ITALIEN - Von Kaisern und Vögeln. Ein Wochenende in Grado

30.Oktober 2015. Den gestrigen  internationalen „Tag des Schlaganfalls“ habe ich gerade noch überstanden. Doch heute frühmorgens bin ich am Ende. Schreckliche Fratzen und Krankenschwestern mit blutigen Kitteln blicken mir aus der Zeitung entgegen. Und  US-Schauspielerin Tippi Hedren (85; Viennale-Stargast, Melanie Griffith-Mutter), im Hitchcock-Horrorklassiker das junge, blonde „Vögel“-Opfer, besucht erstmals Wien und erklärt, dass sie ihren Geschmacksinn verloren hat und einst von „Psycho“-Alfred sexuell bedrängt wurde. Halloween ist da, Allerheiligen droht.

Es ist Zeit für einen Tapetenwechsel. Aber plötzlich. Binnen Sekunden fällt die Entscheidung: wir (meine Frau Lore und ich) waren noch nie im italienischen Grado, wo es dieses Wochenende untertags keine Wolken und über 20 Grad haben wird. Binnen Minuten ist ein Hotel im Internetz gefunden: das Grand Hotel Astoria, gleich an der Uferpromenade. Sicherheitshalber mit Innenpool und gewärmtem Meerwasser. Binnen zwei Stunden sind wir auf der Südautobahn. Dieses Mal verzichten wir auf die brutalen 28 PS meiner Ente und nehmen das schnellere Zweitauto. Wir erleben den farbenprächtigen Indian Summer in der Steiermark und in Kärnten daher nur durch die Windschutzscheibe und nicht durch das offene Rolldach des Citroen 2cv.  Auf der Pack sind wir kurz im Nebel, bald nach der Grenze, im immer wieder faszinierenden Kanal-Tal , sind wir bereits im Adria-Hoch und auf der „strada del sole“.  Die Gipfel der nach dem römischen Kaiser Julius Cäsar benannten Julischen Alpen leuchten uns entgegen, neben uns tröpfelt inmitten von riesigen Schotterflächen das hellblaue Rinnsal des Tagliamento-Flusses. Die Vorfreude steigt.

Fünf Stunden benötigen wir für Wien-Grado. Entspanntes Fahren, da es in der Nichtsaison auf den Autobahnen keine Touristenbusse, holländische Wohnwägen und immer die linke Spur blockierende Skodas gibt.  Auf den letzten Kilometern fahren wir durch die alte Römerstadt Aquileia, sehen links die Säulen des ehemaligen Forum Romanum, auf dem einst neben Gajus Julius auch „unser“  Kaiser Mark Aurel spaziert ist. Hier werden wir bei unserer Rückfahrt am Sonntag einen Besichtigungsstopp einlegen müssen,  der Ort ist Weltkulturerbe!  

Kein Gitterzaun, sondern eine besondere Baumaßnahme!

Locker und ohne sommerlichen Kolonnenstau passieren wir auch Damm und Brücke, die das Festland mit der Laguneninsel verbinden. Sehen erstmals das Meer, sind in Grado, das „Isola del Sole“ genannt wird. Im Sommer ist es leicht, Sonneninsel zu sein, aber Spätsommersonne, ja Kaiserwetter, zu Allerheiligen ist ziemlich überzeugend. Unser Navi ist einbahnmäßig nicht auf dem letzten Stand, daher irren wir durch das Stadtzentrum. Fahren am Yachthafen vorbei, durch die fast menschenleere (somit auch polizistenfreie) Fußgängerzone.  Schlussendlich erreichen wir das feine, nicht richtig ausgebucht wirkende Astoria. Am Eingang lacht uns ein Doppeladler entgegen.


Als wir  leicht hungrig und schwer neugierig das Hotel wieder verlassen, ist die Sonne bereits untergegangen. Nun geht es Schlag auf Schlag: nach nur einhundert Metern betreten wir die Piazza Biagio Marin sehen die Reste einer ab dem vierten Jahrhundert erbauten Basilika.

Sehr eindrucksvoll bei Nacht...
...doch genauso beeindruckend am nächsten Tag

Wir spazieren weiter. Von rechts oben winkt uns eine Figur von der Turmspitze der angestrahlten Eufemia-Kathedrale. Das Haupttor der Basilika ist schon  geschlossen, aber links ist eine Tür spaltbreit geöffnet. Durch sie dringt Musik. Natürlich schlüpfen wir rein, sind im nur spärlich beleuchteten Kirchenschiff, sehen Säulen, das Holzdach, ganz vorne ein großes Fresko in der Apsis. Wir können heimlich einer beeindruckenden Chorprobe beiwohnen.



Nur ein paar Meter sind es von der Kirche zum Duca d‘Aosta-Platz. Wir betreten das "L'Osteria" und lernen Gianni kennen. Weißer Schnurrbart und schwarze Brille. Er war lange Jahre in der nahen Trattoria all’Androna tätig, die sich in den engen Gässchen der Altstadt fast versteckt. Heute führt er mit Partner Paolo, Koch und dem am Fischmarkt gefürchtetsten Einkäufer, sein eigenes Restaurant. Sein Slogan sagt alles: "wo sich terra und mare treffen". Wobei uns das Meer bzw. seine Fische und Meeresfrüchte natürlich mehr interessieren. Ein weiterer Vorteil der Nachsaison: wir können uns unseren Tisch (natürlich im Freien) aussuchen, die Kellnerin ist sofort bei uns. Freundlich und unausgelastet. Abends ist es recht frisch, doch wir sind entsprechend ausgestattet und spüren die acht Grad und den leichten Wind nicht. Ich wähle Zuppa al Cozze, eine große Schüssel Miesmuscheln in hervorragender Paradeiser-Knoblauch-Weißwein-Brühe, Lore muss einfach Spaghetti con calamari probieren. Wir verzichten auf den danach  angebotenen Grappa, bleiben stockkonservativ beim vino bianco. Ein erfreulicher erster Tag.

Samstag. Gleich nach dem reichhaltigen Frühstück fahren wir in den siebenten Stock unseres Hotels. Von der Terrasse (mit nettem Dachpool) haben wir einen perfekten 360 Grad-Orientierungsblick. Ich erkenne unsere Kirche und die Windfahnen-Figur: eingeklemmt zwischen zwei Blitzableitern rotiert der bronzene Erzengel Michael im leichten Wind. Wir betrachten die Dächer der Altstadt, die leeren Strände, einige Inseln. Zwei Krähen sitzen visavis auf einem häßlichen Appartmenthaus-Betonblock, der sich direkt zwischen Promenade und unser Hotel drängt. Deswegen steht in der Zimmerbeschreibung: teilweiser Meerblick.

 
Der rotierende San Michele

Der nachfolgende Ausritt auf dem Fahrrad des Doppeladler-Grandhotels verleiht unserem Ausflug eine leicht monarchische Stimmung. Diese wird noch verstärkt, als wir bei der Fahrt auf der fast leeren Strandpromenade ein weiteres k&k-Symbol entdecken.  Durch Zufall wandle ich direkt auf Franz Josef’s Spuren und bin dort, wo selbst der Kaiser zu Fuß hinging. Das ist in diesem Fall aber nicht der kleine Thron eines imperial-stillen Örtchens, sondern die Tür zum Strand des kaiserlich-königlichen Seebades Grado.  Den seine Majestät, von seinem Gästehaus (der heute noch stehenden Villa Erica) kommend , durch einen eigenen Durchgang im Zaun betrat.  Deutlich sind das „FJ“ und der Doppeladler zu erkennen.

Es hat uns sehr gefreut...


Seriöse Historiker berichten, dass der Kaiser und seine Sisi höchst uneinig darüber waren, ob zur Kontrolle der in das seit 1892 bestehende k&k Strandbad strömenden Massen an der Kassa nur ein Beamter oder vielleicht doch eine „technische Barriere“ oder eine „besondere bauliche Maßnahme“ erforderlich wäre. Natürlich nicht zur Abwehr, sondern höchstens zur „Drosselung und Entzerrung“ des täglich überraschend anstürmenden Badevolkes. Eine Debatte, die nach über 120  Jahren fast irreal wirkt, aber doch irgendwie Erinnerungen an die Gegenwart auslöst. Doch nein, so ein Streit ist undenkbar, könnte heute sicher nicht mehr vom Zaun gebrochen werden.

Wir fahren weiter auf der Promenade, einmal tollkühn bis ans Ende einer Mole, spazieren bloßfüßig im Sand und stecken zwei Zehen (also jeder eine) ins kalte Meer.

 

Später sonnen wir uns allein auf der leeren Terrasse eines im Sommer sicher überfüllten Strandlokals. Fühlen uns von ein paar kreischenden Möwen beobachtet. Keine Möwen oder Adler finde ich in Grado Pineta, dem östlichsten Strandteil von Grado. Hier regieren Flugdrachen, wir sind im Zentrum der Kitesurfer. Grado ist dafür eines der besten Reviere des Mittelmeers mit ganzjähriger Saison.


Mittagspause auf der Hotelterrasse. Es ist spätsommerlich warm, das Bier schmeckt. Urlaubsfeeling. Neben uns sitzt eine Frau im Bademantel, die die (etwas) jüngere Schwester von Tippi Hedren sein könnte. Also nicht, weil sie auch einmal von Alfred Hitchcock sexuell belästigt wurde, sondern weil sie auch ein Problem mit Vögeln hat. Zuerst ist es nur eine Krähe, die neugierig unsere Dachterrasse umfliegt. Doch dann haben  – wie im Film – auch einige Möwen unsere Tischnachbarin entdeckt. Stürzen sich auf sie. Lore kann nicht helfen, sie muß ihren Aperol-Spritzer beschützen. Halloween-Horror live - mittags, gleich neben uns. Der heilige Michael ist auf Augenhöhe und unser Zeuge. Eine Fotostrecke des Schreckens...

 


Angreifen macht durstig

Poolinvasion

Rechts geht es zum Notausgang bei Möwenattacken
Wir flüchten und wollen einen Angstschweiss reduzierenden Nachmittagsausflug unternehmen. Fahren mit dem Rad zum menschen- und vogelleeren Strand Costa Azzura, zum alten Hafen, dann wieder in die Altstadt. Doch das Grauen geht weiter, Halloween verdichtet sich. Es gibt offenbar kein Entrinnen.


Erschöpft lassen wir uns in der "Stamm"-Trattoria nieder. Nur Gianni hat ein Abwehrsystem, lässt die kleinen Monster und Möwen nicht in sein Lokal. Notgedrungen müssen wir bei ihm ein bisschen Weisswein verkosten und ein zweites Mal zu Abend essen. Diesmal nimmt Lore die Muscheln, ich wähle die lokale Spezialität Boreto, Steinbutt mit spezieller (leider zu geiler) Sauce. Karaffen später schlafen die Möwen. Auch die kleinen Monster und Hexen haben bereits einen übersüßten Magen, schleppen sich nach Hause. Wir können in Ruhe und entspannt zurück ins Hotel.

Sonntag. Arrivederci, Grado! Bei der Fahrt über den Damm fällt mir der rechts verlaufende Radweg auf. Er ist von der Straße getrennt, gut gesichert, und begleitet uns die nächsten Kilometer über Belvedere und Aquileia bis Cervignano (Teil einer internationalen Radverbindung zwischen Alpen und Adria). Verblüffend gerade, denn man hat ihn teilweise auf der 1950 aufgelassenen Trasse der alten Bahnverbindung von Cervignano (einst Grenze zwischen Österreich und Italien) nach Grado gebaut. In Aquileia steht heute noch der alte Bahnhof. Relikt der k&k Friaul-Bahn, die einst Triest und Venedig verband und natürlich auch  eine durchgehende Fahrt von/nach Wien ermöglichte. Das seit 1797 zum Habsburgimperium gehörende Grado und sein Seebad mussten natürlich eine Bahnanbindung mit der Kaiserstadt haben.

Der Adler hat mit der Stadt Aquileia nichts zu tun, obwohl  er auf Latein „aquila“ heißt.  Auch der Doppeladler ist hier längst verschwunden. Nur ein paar einsame (von ihren Halloween-Hexen verlassene) Raben fliegen um den hohen Glockenturm, der aus Steinen eines altrömischen Amphitheaters gebaut wurde. Wir stehen auf dem großen Platz davor und sind schwer beeindruckt.

Die Basilika ist die Mutterkirche von Friaul-Venetien, hat aber auch große Bedeutung in den östlichen Nachbarländern. Doch vor allem: hier befindet sich einer der größten und außergewöhnlichsten Mosaikböden der Welt. Aus dem 4.Jahrhundert, entdeckt erst 1909.


Auch innen ist es vögelig. In der Kirche treffe ich auf einen Hahn.

© www.testudowelt.de

Er steht  für Licht, Himmel und das Gute und kämpft mit einer hässlichen Schildkröte, die das Böse und die Finsternis symbolisiert. Eigenartig. Da lob ich mir den Buddhismus, da steht die von mir geschätzte Schildkröte für Langlebigkeit und Weisheit.

Auch Aquileia dokumentiert seine Langlebigkeit mit Ausgrabungen und Museen. Das Lager wurde 181 v. Chr. gegründet, war später eine der bedeutendsten Städte des römischen Reiches. Ist damit eine der wichtigsten archäologischen Stätten Norditaliens und seit 1998 UNESCO-Weltkulturerbe. Ziemlich unerwartet mutieren wir vom Strandläufer und Vögelopfer zum Kulturreisenden. Ein hochinteressanter Abschluß eines gruselig-schönen Urlaubs.

15.November 2015. Zwei Wochen brauchte ich, um diesen historisch und touristisch wertvollen Schmunzelblogbeitrag fertig zu stellen. Schließlich gibt es ja noch unser Reisebüro, Kunden wollten beraten, Reisen mussten verkauft, Reiseprogramme getextet und Fachveranstaltungen (nein, noch kein Punsch) besucht werden. Und Ende der Woche geht es schon nach Vietnam, ins nächste Land mit kaiserlicher Vergangenheit. Nur: heute war ich zuerst unsicher, ob ich den Text überhaupt ins Netz stellen soll. Denn genau zwei Wochen nach unserem Aufenthalt im italienischen Badeort gibt es den echten Horror, das reale Böse, rabenschwarz gekleidete Terrorkiller und Totengedenken. In der französischen Hauptstadt. In einem Club, in dem die Band „Eagles of Death Metal“ auftrat, kreiste der Todesadler. Doch ich lasse mir das Schmunzeln nicht verbieten. Im heutigen "Kurier" finde ich, passenderweise von einem Herrn Schwarz geschrieben:  „…wenn man sich den Alltag, den Unernst…verbietet, wenn Angst und Entsetzen obsiegen, dann hat der Terror sein Ziel erreicht…“.  Io sono Grado, aber viel mehr: je suis Paris!

Dienstag, 15. September 2015

SIBIRIEN/MONGOLEI - Schamane Franz und der Junge Lauser in Jurtenhausen



Wir fahren mit dem Bus von der ostsibirischen Hauptstadt Irkutsk durch unendliche Taiga Richtung Baikalsee, immer entlang dem Angara-Fluss. An der Stelle, wo der Baikal in die Angara abfließt, meine ich eine plötzliche, leichte Unruhe bei Franz, dem Senior unserer meist ausgeglichenen, öfters unernsten, jedenfalls liebenswerten Gruppe zu spüren. Kann mir das vorerst nicht erklären. Wir sind hier ganz nahe einer kleinen, mitten aus dem Wasser ragenden Felsspitze, dem „Schamanenstein“, der für das hier heimische Volk der Burjaten heilig ist. Mit dem eine, falls nicht ganz wahre, doch sicher nicht unplausible Legende verbunden ist: Vater Baikal wollte seine hübsche Tochter Angara mit dem Fluss Lena verheiraten. Doch Angara hatte einen Geliebten, den starken Yenissei. Vor lauter Zorn schleuderte der Vater seiner Tochter einen großen Felsbrocken nach. Etwas unpädagogisch und nicht ganz die feine sibirische Art. 


Der Rest dieses Felsens ragt heute noch aus dem Wasser, wir können ihn gut erkennen. Die alten Schamanen, die neben Geisterheiler auch als Magier und Richter anerkannt waren, befahlen, dass Angeklagte, deren Schuld nicht eindeutig erwiesen war, die Nacht auf diesem Felsen verbringen mussten. Waren sie am nächsten Morgen nicht ertrunken (oder erfroren), galten sie als unschuldig. Es scheint, dass die burjatischen Schamanengeister gerade mit Franz Kontakt aufgenommen haben.

Ist auch kein Wunder: Franz ist der international und regional wenig bekannte, aber wahrscheinlich stärkste Schamane des Marchfelds. Er wurde von den Naturgeistern des Wagram berufen, die mit den Ongos, den mongolischen Geisterkollegen, verwandt sind. Er ist  ein Zairan, ein Vertreter des „Schwarzen Schamanismus“ (im Gegensatz zu der vom Lama-Buddhismus beeinflussten Richtung des  „Gelben Schamanentums“). Als wir die Reise antraten, war mir dies völlig unbekannt. Es sollte auch noch vier Tage, bis heute dauern, bis  mein spirituelles Auge zu Blinzeln begann und ich erkannte, dass wir eine Mischung aus Medizinmann und Geisterbeschwörer in unserer Reisegruppe haben. 

Er hat uns dann am Abend in unserem Blockhüttenhotel im Dorf Listvjanka bei einem spontanen Festl auch ausreichend  Energie geschickt, um bis nach Mitternacht die Bierkrügel zu stemmen, die Wodkaflasche(n) aufzubekommen und die Mischung aus Udo Jürgens und U2 aus dem I-Pad ohne Gehörprobleme zu konsumieren.Und hat sich mehr kater- als geisterheilend am nächsten Morgen wirklich um uns bemüht.

Mit der Transsib geht es über Ulan Ude, der Hauptstadt der russischen Republik Burjatien, über die Grenze in die Mongolei. Am übernächsten Morgen erreichen wir Ulaan Baatar.

Wir sind zu Besuch in der berühmtesten Tempelanlage der Hauptstadt, dem Gandan-Kloster. Hunderte Mönche, ein Riesenbuddha und tausende kleine Buddhastatuen. 



Franz und Mitreisende Sabine (die für Franz immer aufmerksam die Tasche mit den schamanischen Utensilien trägt; die er ins Herz geschlossen hat und um die er sich irgendwie wie ein Vater sorgt) posieren vor den Gebetsmühlen. 
 
Franz in charmanter Begleitung
Es spazieren Mönche vorbei, andere Besucher. Dann tritt plötzlich eine Schamanin (mongolisch: Udgan) hinzu, leicht erkennbar am blauen Gebetsschal. Sie hat einen schwer aussprechbaren Namen, sodass wir sie alle einfach Christine nennen. Wir merken sofort, zwischen ihr und Franz gibt es eine besondere Verbindung. 

Als wir im Herzen von UB, auf dem riesigen Such Baatar-Platz sind, versprüht Franz offensichtlich viel magische Energie, sodass ihn ein frisch verheiratetes Paar anspricht. Junge Brautleute lassen sich  traditionell vor der großen Dschingis Khan-Statue über den Stiegen des Parlaments fotografieren. Die beiden bitten ihn spontan, ihnen Kraft (für viele kleine Mongolenkinder) zu übertragen und sie vor bösem Zauber zu schützen. Überreden ihn zu einem gemeinsamen Hochzeitsfoto.




Wir verlassen die Verkehrsstaus der mongolischen Metropole und fahren in den Terelj Nationalpark. Unterwegs sehen wir eine gigantische Reiterstatue, schon wieder Dschinghis Khan. Mit dem Lift im Popo fahren wir bis zum Kopf seines Pferdes. 


Zairan und Ugdan

Von der Pferdekopfterrasse bietet sich ein toller Panoramablick auf unendliche Wiesen und Hügel. Danach sind wir auf einmal fast allein, umgeben von Ruhe und Entspannung vermittelnder, eindrucksvoller, hügeliger Graslandschaft und beginnender Berge. Wir stoppen an einer Passhöhe, blicken ins nächste Tal, bewundern einen Ovoo. 



Das sind kultische Steinhaufen, die Glück für die weitere Reise bringen sollen. Indem man selbst einen Stein hinzufügt und den Ovoo dreimal umrundet. Auch wir umrunden. Schließlich erreichen wir den Nationalpark mit seinen außergewöhnlichen Felsformationen  und einen Talkessel, an dessen Ende sich „unsere“ kleine Jurtensiedlung an den Berg schmiegt.


Franz bewohnt die Jurte Nr 24 (2 und 4 sind schamanische Glückszahlen). Die Gastgeberfamilie ist glücklich, dass der berühmte Schamane aus Austria bei ihnen zu Gast ist. Deswegen wird für uns, vor allem für Franz, eine Spezialität zubereitet: „Ziege aus der Milchkanne“. Wobei die Ziege ein Lamm ist und die Milchkanne ein riesiger Kochtopf. Wir lassen uns das Festmahl abends alle schmecken.




Die Frau des Gastgebers ist offensichtlich nicht nur die Herrscherin über Milchkanne, Küche und Jurtencamp,  sondern von eigentlich allem hier. Kümmert sich um uns. Zeigt uns stolz ihren kleinen Sohn, stellt ihn ehrfurchtsvoll auch Franz vor.


Irgendwie verstehen wir, dass sie ihn um Schutz vor bösen Geistern und langes Leben für ihren Buben bittet. Franz muss dazu mit den Ongos Kontakt aufnehmen, muss in einen anderen Bewusstseinszustand wechseln. Die ostasiatischen Schamanen benützen dazu ihre Trommeln, die "Henggereg". Für einen echten schwarzen Schamanen aus Niederösterreich ist klar, da hilft nur Weißwein. Und weil es ja um den kleinen Sohn der Gastgeberfamilie geht, entschließt sich Franz für den „Jungen Lauser“. Natürlich vom Gaunersdorfer >>> aus Großengersdorf. Sabine hat nicht ganz zufällig eine Flasche in der Requisitentasche. Jahrgang 2014 (schon wieder 2 und 4...).

Wir durften dieser schamanischen Zeremonie und der Seelenreise leider nicht beiwohnen. Ich kann aber bildlich dokumentieren, dass Franz die Lauser-Bouteille zum Einkühlen einfach vor seine Jurte gestellt hat. Und bestätigen, dass – oh Wunder – die Flasche am nächsten Tag leer war. 


Die Weinauswahl ist verblüffend, ja mystisch passend. Der Cuvee von Andreas Gaunersdorfer aus Grünem Veltliner, Weißburgunder und Muskat Ottonell ist frisch, fruchtig und jugendlich frech. Auch Temudschin, der spätere Welteroberer Dschingis Khan, war in seiner Jugend ein wilder, oft stürmischer Lauser. Gute Aussichten für den zukünftigen Juniorchef von Jurtenhausen!