Oktober 2014. Wir verlassen das wunderbare Isfahan, sitzen wieder im Bus. Haben es
uns gemütlich gemacht, unsere Frauen haben ihre Kopftücher abgenommen.
Heute stehen viele Buskilometer durch die Wüste am Programm. Wir
passieren kleine Siedlungen, verlassene Karawansereien, mächtige
Bergformationen und beobachten eine Polizeikontrolle. Ziel ist die
Oasenstadt Yazd, mit zoroastrischen Feuertempeln und "Türmen des
Schweigens", mit typischen Windtürmen und, nicht wirklich überraschend,
sehenswerten Moscheen.
Da
mir Links und Rechts sonst nicht weitere Abwechslung bieten, bleibt genug
Zeit, Reiseteilnehmer Josef vorzustellen. Wir nennen ihn respektlos-vertraulich Sepp. Er
ist 80 und erinnert auch sonst ein bisschen an Udo Jürgens. Weil er
beispielsweise kein bisschen weise ist. Er hat das mit der islamischen
Revolution im Iran irgendwie mitbekommen, auch dass wir hier alkoholfrei
unterwegs sind. Aber dass sich die Mädchen und Frauen mit ihren
hübschen Gesichtern und ausdrucksvollen dunklen Augen hinter
Kopftüchern, Schleiern und dem Tschador verstecken, will er nicht so
richtig akzeptieren. Das hat er, allerdings ohne positive Resonanz der
lokalen Weiblichkeit, schon am großen Platz in Isfahan deponiert. Sepp
zählt zum umtriebigen Teil unserer Reisegruppe. Er war früher und
zumindest in der Zeit, die er hart arbeitend in Wien verbrachte, ein
bisschen ein Schwerenöter. Kennt aus früheren Besuchen in der Inneren
Stadt weniger das „Sacher“, sondern eher das Hotel „Orient“. Sieht immer
noch scharf durch seine Krankenkassenlesebrille. Daher blieb ihm im
Iran-Reiseführer auch nicht das gleichnamige Hotel in der Oasenstadt
Yazd verborgen. Also nicht das Sacher.
Auch seine Phantasie hat er
sich bewundernswert erhalten. Die braucht er auch, versucht er doch,
sich ins Innere der schwarzen Umhänge iranischer Frauen zu denken. Wir
alle, auch Sepp, wissen: was teilweise verborgen, nur angedeutet ist,
ist oft reizvoller als die nackte Wahrheit. Somit ist unser Sepp,
aufgeputscht durch Pistazienkekse mit Rosengeschmack und Schälchen voll
zimtigen Orangentees, schon fast in Hochstimmung, als wir in Yazd
ankommen und einchecken. Nicht im „Orient“, das aber nur wenige Minuten
von unserer Hotelanlage entfernt ist und auch in der Innenstadt liegt.
Nahe der Jame-Moschee mit den sehenswerten hohen Doppelminaretten und
vor den Souvenirgeschäften voll Stoffballen, kupfernen Töpfen,
kunstvollen Porzellantellern, Gewürzen und Früchten. Wir sehen die
Melonen und Granatäpfel, für die Yazd berühmt ist. Auch Sepp denkt an
Melonen und Granaten. Zudem plärrt ihm der nahe Lautsprecher-Muezzin
zart aufmunternde Worte ins rechte Ohr (links hört er nicht mehr so
gut), sodass er nun nicht mehr zu halten ist. Zwischen den Alleebäumen
der Mahdi-Straße findet man Filialen der scheinbar unzähligen Banken des
Iran. Sepp folgt seinen inneren Trieben und seiner inneren Stimme und
besucht die Samen-Bank.
Vor
dem Glasportal des „Finanz- und Kreditinstitutes“ muss nun auf Grund
der hohen sittlichen Ansprüche des Landes (und meines Blogs) das
öffentliche Interesse enden, es beginnt Sepp`s Privatsphäre. Der
Blogschreiber will schließlich das nächste Mal wieder problemlos in den
Iran einreisen (und ausreisen). Irgendwie können wir jedenfalls alle nur
ahnen, dass Sepp keinen Verstoß gegen die strengen Gesetze des Irans
begangen hat. Nicht begehen konnte. Nichts von der Samen-Bank abheben
konnte. Seine Bankomatkarte wurde auf Grund des US-Embargos nicht
akzeptiert. Sepp konnte keinen Stundenaufenthalt im Orient-Yazd buchen,
keine islamische, im schiitischen Iran mögliche „Ehe auf Zeit“
eingehen.
Die Historie der beiden Orient-Hotels ist eine lange und
reiche. Nur Wüsten- und Stadtmäuschen könnten amouröse Geschichten und
Anekdoten erzählen: über alte Feldherren und aktuelle Diplomaten,
Gaukler des 11. und Schauspieler des 20.Jahrhunderts. Von
TV-Kommentatoren. Von früheren Händlern und heutigen Managern bis zu
einfachen Steuer- und Ortstaxenzahlern wie Du und ich. Also wie Sepp.
Und über die vielen weiblichen Orient-Gäste mit und ohne Schleier. Nur
Mäuschen könnten das - das Hotelpersonal war und ist bis heute, in Yazd
und ganz besonders in Wien, diskret und verschwiegen.
Die mitten
in der Dasht-e Kavir-Wüste liegende Oasensiedlung Yazd wurde vor 2300
Jahren von Alexander dem Großen gegründet, der hier Adelige der
besiegten Achämeniden-Dynastie im Kerker gefangen hielt. Das Gefängnis
gibt es heute noch, auf persisch heißt der Kuppelbau Zendan-e Iskander.
Er liegt nur ein paar hundert Meter vom „Orient“ entfernt. Dieses war
damals eine einfache Oasenherberge, eine typische Karawanserei für
Reisende auf der Seidenstraße, für Handelsleute, Beamte und Soldaten
des Schahs und für die pilgernden Anhänger der hier stark verbreiteten
Zarathustra-Religion. Der spätere Mongolensturm verschonte Yazd, sodass
viele historische Gebäude, auch alte Gästehäuser im Zentrum wie das
„Orient“ erhalten blieben. So konnte Togha-Schah (wir lernen: von der
lokalen Atabeg-Dynastie) 1272 den Chinareisenden Marco Polo in Yazd
empfangen und in seiner Lieblingsherberge unterbringen. Ob Marco ein
früher Udo oder Sepp war, verschweigt die Geschichte. Ob andere Schahs
im Yasder „Orient“ kurzgewohnt haben, fehlt in den nachrevolutionären
Chroniken. Amouröse Exkursionen hatten sie bei ihrem imperialen Luxus
und großem Harem auch nicht nötig. Dass unser aller Kaiser Franzl im
Wiener „Orient“ zu Besuch war, ist hingegen eines der gut gepflegten
Gerüchte. Noch heute hängt dort ein Schratt-Gemälde. Udos haben Ende des
20. Jahrhunderts unser, also Sepp’s „Orient“ geradezu frequentiert:
Jürgens (der ein bisschen an Sepp erinnert), Proksch und Lindenberg
gehören zur natürlich nicht bestätigten Gästeliste des Stundenhotels.
Sepp kann froh sein, dass es hier mit der Samen-Bank nicht geklappt hat.Von
der (ziemlich heruntergekommenen) Dachterrasse des „Orients“ hat man
zwar einen tollen Blick auf die beiden Minaretttürme, auf die kunstvolle
Mausoleumskuppel des Wissenschaftlers Seyyed Rokn Al-Din aus dem
8.Jahrhundert, auf Basardächer und Altstadt. Auf den mit bequemen
Polstern und Teppichen ausgestatteten Holzliegen im Innenhof des Hotels
kann man zwar angenehm entspannen und gesüßten Schwarztee oder
alkoholfreies Bier genießen. Am Wasserbecken vom Schleier persischer
Prinzessinnen oder des Zimmermädchens träumen. Aber die Zimmer selbst
sind mehr als einfach und eng und wären für Sepp’s angedachtes
lustvolles Stelldichein nicht richtig liebesfördernd gewesen. Glaub ich.
Gleich
zwischen „Orient“ und der Moschee liegt der Eingang zu den alten
Marktgängen. Die leer sind, schmutzig und finster, ihre kunstvolle
Kuppelarchitektur verbergend. Sie warten noch auf ihre Restaurierung.
Und UNESCO-Unterstützung. Schließlich ist die historische Altstadt von
Yazd Kandidat als Weltkulturerbe. Nach kurzem Spaziergang durch die
faszinierenden, engen Gässchen zwischen braunen kleinen Häusern und
Mauern aus Lehm erreicht unsere Gruppe, komplett mit Sepp, das geöffnete
Basarviertel der Stadt. Uns umgibt die bereits bekannte geschäftige
Atmosphäre, wir besuchen die Marktstände, nehmen Geräusche und Gerüche
auf.
Etwas
ist neu, verwirrend: was bedeuten die Schilder an den – natürlich
korrekt konservativ gekleideten – Kleiderpuppen? Als wir den Basar
verlassen, blitzen Sepp’s Augen noch einmal auf. Ein Lokal mit schriller
Neonschrift, Stiegen, die in ein mysteriöses (rotlichtiges, Kurzehe
versprechendes?) Obergeschoß locken, erinnern ihn an Bangkok, wecken
damit noch einmal verdrängte Urinstinkte. Es ist nur ein kurzes
Aufflackern, schließlich folgt er uns brav zum Bus.
Die Geschichte
hat Yazd und Wien auf wunderbare, sehr menschliche Weise verknüpft. Sie
geht zurück bis Mitte des 17.Jahrhunderts, als es einen seldschukischen
Händler mit Namen Shim an-Koh (übersetzt: Shim vom Berg) aus dem uns
nun bekannten Basar von Yazd nach Konstantinopel verschlug. Dann im
Gefolge der osmanischen Eroberungszüge nach Südosteuropa, und bei der
2.Türkenbelagerung 1683 sogar weiter bis nach Wien. Wie wir alle aus
der Schule wissen, waren die Osmanen nicht richtig erfolgreich und
mussten wieder abziehen. Zurück blieb unter anderem Herr an-Koh, der
vorerst Migrationsprobleme hatte und es ablehnte, seinen Namen in
Bergmann oder Berger zu verdeutschen. Doch erfahren, clever und flexibel
wie er war, und sich rasch an die klare Sprache und den gemischten Satz gewöhnend, leistete er
seinen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum der Stadt. Nahe der Mündung
des damaligen Ottakringer Bachs in einen Seitenarm der Donau (heute:
Tiefer Graben), bei der die Händler und Matrosen der Donauschiffe aus
ihren Beibooten orientalische Restposten und Sonderangebote
verscherbelten, errichtete er einen kleinen Laden. Später kamen
Kebab-Bude, Schankhaus und Herberge hinzu, in denen die Schiffer ihre
gerade verdienten Taler und Kreuzer gleich wieder verjuxen konnten. Bald
wurde unser schnauzbärtiger, nun schon betagter Shim einer der
führenden Importeure der ihm so wohl bekannten Schätze des Orients, von
Gewürzen, Gold- und Silberschmuck, sogar von Brokatstoffen und Teppichen
der Türkei und seiner persischen Heimat. Sein Gast- und Lusthaus
nannte er in einem Anfall von Heimweh einfach „Orient“. 200 Jahre später
und nach diversen Besitzerwechseln wurde es zum „Hotel Orient“. Heute
noch heißt eines der speziellen und einzigartigen Hotelzimmer „1001 Nacht", im Sinne und Geist des Urpatrons Shim an-Koh. An das Zimmer kann sich
Sepp wahrscheinlich nicht mehr erinnern, vielleicht aber an die Nacht.
Kommentare, Anregungen, eigene Erfahrungen, Vorschläge, Reiseanfragen etc. sind willkommen! tretenhahn@eastlink.at
Allfällige Namensgleichheiten (also zB Alexander) wären rein zufällig und sind aber sowas von nicht beabsichtigt!
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