Dienstag, 2. Dezember 2014

RUSSLAND - Moskau und der Rote Oktober

11.Oktober 2012
Mitreisender Franz V. hat diesen Sonderstädtetrip für Personalvertreter nach Moskau poetisch-abenteuerlich, phantasieanregend, „Jagd auf Roter Oktober“ genannt. Und dabei so gezwinkert wie Kapitän Ramius, der Kommandant des gleichnamigen U-Boots (im Film Sean Connery). Ich bin dabei, muss aufpassen, dass diese Reise nicht moralisch abgleitet. Dass einige Reiseteilnehmer (es gilt die Unschuldsvermutung) sie als „Jagd auf blaue Olga“ missverstehen. 

Angenehmer Flug mit Aeroflot Airbus, unhektische, korrekte  Einreise und Passkontrolle, kein Koffer fehlt. Lena, eine unserer Stadtführerinnen, begrüßt uns, der Bus ist auch schon da. Alles ging bis zum Einsteigen überraschend flüssig. Und dann war Schluss mit flott. Der Straßenverkehr, bzw. der Nicht-Verkehr (=Dauerstau) in Moskau ist ja irgendwie bekannt. Aber dass er schon am Flughafen beginnen muss… Nach 15 Minuten sind wir aus den 300 Metern Flughafenstau raus und zwängen uns in den Normalstau der stadteinwärts nach Moskau fahrenden Tausendschaften. Um es kurz zu machen: es hat lange gedauert. Für eine Strecke, für die ich irgendwie sowjetische 45 Minuten in Erinnerung hatte, benötigten wir volle zwei Stunden. Natürlich inklusive Stopp bei einem Getränkekiosk. Wir waren immer live informiert. Unser Bus hatte Wlan und der Bus-Ramius einen großen Monitor mit  jeder Menge roter Linien. Moskau hat ein eigenes Online-Infosystem: „Jandex“ checkt das Verkehrsaufkommen und färbt die verstopften Straßen am Bildschirm rot. Also fast alle. Unsere erste Begegnung mit Roter Oktober. Unser Chauffeur und auch wir waren somit nie richtig verwundert, dass nichts weiterging. Wollen Sie virtuell den Moskauer Stau erleben? Hier geht’s zu Jandex >>>
Abends fuhren wir mit der Metro schon zum Roten Platz.


12.Oktober
Bei der Stadtrundfahrt kommt es zu einigen Begegnungen mit „Roter Oktober“.  Wir sind wieder mit dem Bus unterwegs, stauen uns entlang dem Moskva-Flussufer. Vorbei an der langen, aus roten Ziegeln errichteten Kreml-Mauer. Stoppen bei der mächtigen Erlöser-Kathedrale. Im dunkelroten Oktober 1931 befahl Stalin, die Ende des 19.Jahrhunderts gebaute Originalkirche zu sprengen, er wollte einen monumentalen, über 400 Meter hohen „Palast der Sowjets“ errichten. Aus den Kathedralentrümmern wurde schließlich ein Schwimmbad, und im Jahr 2000 (nach nur sieben Jahren Bauzeit) die weithin sichtbare, neue, wiederaufgebaute Christi Erlöser-Kirche. Wir betrachten die Ikonen, die Fresken, die 9000 Quadratmeter Blattgold im Inneren. Sind ganz nahe dem grünen Teppich, auf dem im Februar drei Frauen ein Punk-Gebet sangen.


Visavis, am anderen Ufer, zeigt uns Lena ein großes, rotes, fast palaisähnliches Ziegelgebäude. Es wirkt frisch renoviert. Am Dach ist ein großes Schild, ich lese: Krasnii Oktiabr.  „Roter Oktober“ hieß ab 1922 die Fabrik, die die bekannteste Schokolade der UdSSR, aber auch Torten und Pralinen produzierte. Gegründet wurde das Unternehmen 1867 von einem Deutschen, der später sogar offizieller Schokolieferant des russischen Zaren wurde. Heute ist das Gebäude Nobelimmobilie, Sitz einiger Boutiquen, eines Schokoladengeschäfts und eines Museums. Und hat – damit wir die Kurve zu unserer blauen Olga schaffen - auch Promi-Disko und Nachtclub.


Wir kurven weiter, schon droht das nächste Monument.  Viel Bronze, nur ein bisschen Oktober-Kupferrot. Beachtliche 98 Meter hoch ist das Denkmal für Peter, den Großen. Das die Moskauer so gar nicht lieben. Über Kunst kann man ja bekanntlich streiten, aber dass Zar Peter die Hauptstadt von Moskau in das von ihm gegründete St. Petersburg verlegen ließ, nehmen sie ihm übel. Eigentlich sollte das Denkmal  ein Columbus werden und zum 5oo-jährigen Jubiläum der Entdeckung der Schweinebucht und der Domrep nach Amerika gebracht werden. Aber 600 Tonnen wollen einmal in die USA oder nach Lateinamerika transportiert und die Überfahrt finanziert werden. Die elegante, fast russische Lösung: ein Kopfwechsel. Aus Christoph wurde ein großer Peter. Und bei seiner Enthüllung gefeiert wurde nicht die spanische, sondern die russische Marine.
    

Am Roten Platz liegt nicht nur die berühmte Basilius-Kathedrale, das historische Museum, sondern bekannterweise auch das Lenin-Mausoleum. Wir haben Glück, vor dem Eingang treffen wir Genosse Roter Oktober beim Luftschnappen. Mit seinem auf Rauchpause befindlichen, schnauzbärtigen Nachfolger, bis 1961 Sarggenosse. Stalins Grab ist heute in der Kremlmauer.  Das des „Unbekannten Soldaten“ liegt ganz nahe im Alexandergarten, dort findet stündlich die spektakuläre Wachablöse >>> statt (wie früher vor dem Lenin-Mausoleum). Für Eastlink-TVV im Einsatz (mit fast zu ruhiger Kameraführung): Christian S.
         
Nach der beeindruckenden Innenbesichtigung der Kremlfestung gibt es für meine Gruppe eine doppelte Überraschung. Die erste: es gibt noch einen Kreml in Moskau. Und die zweite: da fahren wir jetzt hin, dort befindet sich nämlich das Wodka-Museum. Der Kreml von Ismailovo ist dem gerade besuchten nachempfunden, ist ein erst vor rund 10 Jahren eröffneter Freizeitpark. Altrussische Architektur aus Zeiten Peter des Grossen und alte traditionelle Holzbaukunst vermischen sich mit neurussischen Disneyland-Elementen. Sehr farbenfroh, sehr kitschig.


Eine Vorstellung des Ismailovo-Kremls in Wort und Bild liefert Russland.TV. Auf Youtube >>>   Kommentatorin Irina warnt mit sympathischen Akzent:”… ist mit Sicherheit nichts für Leute, die empfindlich auf etwas Kitsch reagieren…” Im Inneren der weissgestrichenen Kremlmauerkopien befinden sich entsprechende Bauwerke: ein Glockenturm, eine große Kirche aus Holz, Restaurants, Kinderspielplatz, Bühnen, Verkaufsstände, Handwerksmarkt und fünf Museen. Wir reagieren empfindlich, verzichten unter anderem auf das Museum für russische Märchen und konzentrieren uns auf das Museum des russischen Wodkas. Es begrüßt und führt uns Tanja, viel zu jung, um uns überzeugend durch Höhen und Abgründe des russischen “Wässerchens” zu begleiten. Aber wir erfahren von den mittelalterlichen Ursprüngen, vom Wodka der Zaren, vom Wodkaverbot im Roten Oktober und den vergeblichen Bemühungen Gorbatschovs, den Alkoholkonsum der Russen zu reduzieren. Wir betrachten hunderte von verschiedenen Wodka-Flaschen in den Vitrinen. Tanja erkennt unsere Erschöpfung, reicht uns ein Stamperl Russkii Standart Wodka. Zum Abschluss. Der eigentlich ein Anfang war. Dieser Oktoberabend endete dunkelrot.
    

6.Jänner 2013 - Nachtrag
Was für uns ein historischer Ausrutscher war, ist für die Bevölkerung Russlands ein immer größer werdendes Problem. „Mütterchen Russland verliert ihre Kinder“, titelt der Kurier heute. Und liefert erschreckende Fakten: Jahreskonsum pro Person fast 16 Liter reiner Alkohol. Babys und Kinder eingerechnet. Daraus resultieren: niedrigere Lebenserwartung, erhöhte Unfallgefahr, vermehrt Verkehrstote, Fuselopfer, steigende Anzahl an Morden und Selbstmorden. Der individuellen Leberzirrhose folgt der demografische Kollaps.

Anfang Jänner 2013 startete Präsident Putin die „Jagd auf blauen Ivan“. Landesweit. Mit Verboten, Verkaufsbeschränkungen und Preissteigerungen: Mindest-Ladenfläche 50 Quadratmeter (damit entfallen die beliebten Getränkeverkaufsbuden); Verkauf nur mehr zwischen 8 und 23 Uhr; Wodka wird um 36 Prozent teurer. Und er ergänzt den Kampf gegen den Bevölkerungsschwund mit gewichtigen Einbürgerungen: Obelix wird Russe.

Kommentare, Anregungen, eigene Erfahrungen, Vorschläge, Reiseanfragen etc. sind willkommen!   tretenhahn@eastlink.at

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