August 1982. Ich bin zum ersten Mal in meinem
Leben in Bangkok, eingeladen zu Verhandlungen über eine Serie thailändischer
Touristengruppen nach Österreich und Osteuropa. Eine Besichtigungstour durch
die im Vergleich zum damaligen Wien hyperaktive Metropole (leider auch inklusive
hyperpassivem Verweilen in Verkehrsstaus) habe ich schon absolviert. Heute mache
ich mit einem wohlgenährten, aber trotzdem ziemlich hungrig dreinschauenden
Guide eine Morgentour im Langboot durch die „Klongs“, die typischen Kanäle der
alten siamesischen Hauptstadt Thonburi (die als Stadtteil nun zu Bangkok gehört).
Vertraute Bilder, da ich als Fan von Bond, James Bond, die geheimdienstliche Flussverfolgungsjagd
im Film „Der Mann mit dem goldenen Colt“
mehr als einmal miterlebt habe.
© ddp images in: Spiegel online 11/2008 |
Auch wir flitzen danach auf dem breiten,
braungelben Chao Praya-Fluss, vorbei am berühmten Oriental Hotel. Wir stoppen am
Westufer beim Tempel der Morgenröte, dem Wat Arun. Das ist aber nur sein
Kurzname, denn vollständig heißt die Anlage Wat Arun Ratchawararam Ratchaworamahaviharn. Was noch unverständlicher ist, wenn es in korrektem Thai ausgesprochen
wird, also wenn sich jedes „r“ wie ein „l“ anhört.
© by Wat Arun Net |
Allein der Blick auf den geschäftigen Fluss, die am anderen Ufer
aufragenden Pagodenspitzen des Wat Po (das Kloster mit dem riesigen liegenden
Buddha) und den nahen Königspalast ist schon die schweißtreibende Besteigung
wert.
Danach schau ich mir auch die anderen Bauwerke des Wat an. Ich bin nun
allein, habe freie Zeit. Der
Fremdenführer glaubt, mit dem Prah Prang ist alles erledigt und ist nun auf der
Suche nach einem Essstand für sein zweites Frühstückssupperl. Ich betrete
bloßfüßig einen Viharn, eine kleine Halle, in der sich früher die Mönche
versammelten. Bewundere die goldenen Buddhastatuen. Weiß noch nicht, dass hier im
18.Jahrhundert für ein paar Jahre auch die Statuette des heiligen
Smaragdbuddhas gestanden ist, bevor für sie der heute so berühmte Wat Phra Keo auf
der anderen Flussseite errichtet wurde.
Als ich mir nach dem Rausgehen wieder die
Sandalen anziehe, spricht mich ein älterer Mönch mit sympathischen Lachfalten
in gutem, fast verständlichen Thai-Englisch an. Er will keine Gabe oder Spende,
nichts verkaufen. Wir kommen ins Gespräch, bald ins Philosophieren. Er erzählt
unter anderem von der Weisheit des Erleuchteten, von der Wiedergeburt, klärt
mich über die Langlebigkeit der Schildkröten auf. Ich erzähle ihm unter anderem,
dass ich gestern heilige Schildkröten im Wat Po-Tempel sehen konnte, dass ich selbst
einmal allerdings sehr kurzlebige Wasserschildkröten hatte und dass ich der
baldigen Geburt eines Sohnes entgegensehe. Der Mönch heißt kurz Pa und freut
sich mit mir, dass ich in vier Monaten ein PaPa sein werde.
Manjushri bzw. seine Inkarnation Manjughosasha (auch: Manjugosha) wird auf Statuen, die ich später auch in Tibet, Bhutan und Nepal gesehen habe, mit einem Schwert in seiner rechten Hand dargestellt.
© Wikipedia.org |
Es ist das Schwert der Weisheit, das die
Schleier der Unwissenheit zerschneidet und die Wolken der Ignoranz zerteilt.
Manju, wie ich ihn amikal nenne, ist daher auch der Schutzpatron der
Studierenden und der Gelehrten. Ich bin beeindruckt, sehe das als gutes
Vorzeichen. Pa kann noch zulegen: er verschwindet für zwei Minuten und kommt
mit einem Schwert zurück. Also doch ein – raffinierter - Souvenirverkäufer,
denke ich kurz. Doch Pa schenkt mir das in einer Scheide steckende Schwert,
ohne Gegenleistung. Es soll meinem zukünftigen Sohn beim Schleierschneiden
helfen, ihm schildkrötenähnlich langes Leben und Weisheit sichern und darf ihm
nicht vor seinem 32.Geburtstag übergeben werden. Ich bedanke mich, tief
beeindruckt. Dann verabschieden
wir uns, mein satter Guide und das Boot warten. Ich habe Pa nie wieder gesehen.
Heute weiß ich, Manju
und sein Schwert haben bei Sascha – so nannten wir unseren Sohn - gewirkt. Kein Wunder, dass einer seiner Lieblings-Comics
als Kind die (Teenage
Mutant Hero)Turtles waren. An die vier
schildkrötigen Kampfbrüder, deren Schlachtruf „Cowabunga“ war, erinnern wir uns
auch heute gerne. Wenn ich mich recht entsinne, war sein Idol damals Leonardo, natürlich der mit dem Schwert.
Später hat sich Sascha
gleich einer Schildkröte durch die Oberstufe des Gymnasiums bewegt, hat mit
leichter Unterstützung von Manju sein Studium erfolgreich absolviert. Schwebt heute
über den Wolken der Ignoranz, verfügt über Empathie. Hat fast gute Ansätze für
ein langes Leben. Das Nirwana besucht er schon jetzt ab und zu.
© Wikipedia.org |
Hier kann ich auch für
alle Zeiten den immer wieder auftretenden Irrtum aufklären, mein Sohn hieße Alexander
(obwohl der Ur-Alexander, der „Große“,
ein ziemlich heftiger Schwertträger war) oder sein Vorname wäre ein
russischer Kosename. Sascha ist die in Österreich anerkannte Kurzform von
Manjughosasha, unserem Boddhisatva der Weisheit.
14.Dezember 2014. Abends Feier im kleinen
Kreis, schließlich ist es kein runder Geburtstag. Wenn ich meinem erstgeborenen
Sohn in Pa’s Sinne das Schwert der Weisheit übergebe, ist das keine versteckte
Aufforderung, noch ein bisschen an der persönlichen Weisheit zu arbeiten, sondern offene Anerkennung. Wer mich
kennt, kann sich vorstellen, mit welch Ernst und Würde die Übergabe kurz nach
Mitternacht erfolgt ist. „Om-mani-co-wa-bun-ga“.
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