Freitag, 9. Januar 2015

THAILAND, Bangkok - Sascha und das Schwert des Manju



August 1982. Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben in Bangkok, eingeladen zu Verhandlungen über eine Serie thailändischer Touristengruppen nach Österreich und Osteuropa. Eine Besichtigungstour durch die im Vergleich zum damaligen Wien hyperaktive Metropole (leider auch inklusive hyperpassivem Verweilen in Verkehrsstaus) habe ich schon absolviert. Heute mache ich mit einem wohlgenährten, aber trotzdem ziemlich hungrig dreinschauenden Guide eine Morgentour im Langboot durch die „Klongs“, die typischen Kanäle der alten siamesischen Hauptstadt Thonburi (die als Stadtteil nun zu Bangkok gehört). Vertraute Bilder, da ich als Fan von Bond, James Bond, die geheimdienstliche Flussverfolgungsjagd im Film  „Der Mann mit dem goldenen Colt“ mehr als einmal miterlebt habe. 
© ddp images in: Spiegel online 11/2008
Auch wir flitzen danach auf dem breiten, braungelben Chao Praya-Fluss, vorbei am berühmten Oriental Hotel. Wir stoppen am Westufer beim Tempel der Morgenröte, dem Wat Arun. Das ist aber nur sein Kurzname, denn vollständig heißt die Anlage Wat Arun Ratchawararam Ratchaworamahaviharn. Was noch unverständlicher ist, wenn es in korrektem Thai ausgesprochen wird, also wenn sich jedes „r“ wie ein  „l“ anhört.

© by Wat Arun Net
 Höhepunkt und schon von weitem sichtbar, ist der von vier kleineren Türmen umgebene rund 70 Meter hohe Prang, der heilige Tempelturm. Sein schlankes Äußeres ist mit Porzellan, Muscheln und bunten Glasstücken verziert. Mein Guide erklärt mir die vielen Statuen von steinernen Wächtern, Göttern und Fabelwesen. Von fast ganz oben beobachtet uns  aus einer Nische eine Figur, die auf einem dreiköpfigen Elefanten steht. Es ist der hinduistische Götterkönig Indra und Erawan, sein in Thailand sehr populäres Reittier. Vier Ebenen hat der Zentralturm, in jeder Himmelsrichtung führen steile Stiegen aufwärts.
 

Allein der Blick auf den geschäftigen Fluss, die am anderen Ufer aufragenden Pagodenspitzen des Wat Po (das Kloster mit dem riesigen liegenden Buddha) und den nahen Königspalast ist schon die schweißtreibende Besteigung wert. 
  
Danach schau ich mir auch die anderen Bauwerke des Wat an. Ich bin nun allein, habe freie Zeit. Der Fremdenführer glaubt, mit dem Prah Prang ist alles erledigt und ist nun auf der Suche nach einem Essstand für sein zweites Frühstückssupperl. Ich betrete bloßfüßig einen Viharn, eine kleine Halle, in der sich früher die Mönche versammelten. Bewundere die goldenen Buddhastatuen. Weiß noch nicht, dass hier im 18.Jahrhundert für ein paar Jahre auch die Statuette des heiligen Smaragdbuddhas gestanden ist, bevor für sie der heute so berühmte Wat Phra Keo auf der anderen Flussseite errichtet wurde.

Als ich mir nach dem Rausgehen wieder die Sandalen anziehe, spricht mich ein älterer Mönch mit sympathischen Lachfalten in gutem, fast verständlichen Thai-Englisch an. Er will keine Gabe oder Spende, nichts verkaufen. Wir kommen ins Gespräch, bald ins Philosophieren. Er erzählt unter anderem von der Weisheit des Erleuchteten, von der Wiedergeburt, klärt mich über die Langlebigkeit der Schildkröten auf. Ich erzähle ihm unter anderem, dass ich gestern heilige Schildkröten im Wat Po-Tempel sehen konnte, dass ich selbst einmal allerdings sehr kurzlebige Wasserschildkröten hatte und dass ich der baldigen Geburt eines Sohnes entgegensehe. Der Mönch heißt kurz Pa und freut sich mit mir, dass ich in vier Monaten ein PaPa sein werde. 

Wir sitzen auf einer Steinbank, ungestört von den umher gehenden Besuchern, verirren uns in einem Fragenlabyrinth rund um die Schildkröte: wird mein zukünftiger Sohn die Wiedergeburt einer mächtigen Schildkröte? Wird er schildkrötengleich stark und ausdauernd? Langlebig? Weise? Pa erzählt mir von Manjushri, dem Boddhisatva der Weisheit. Erkennt meine Verwirrung und klärt mich freundlich auf: Boddhisatvas sind erleuchtete Wesen, die uns allen helfen möchten, aus dem Kreislauf der Wiedergeburten auszubrechen. Ich selbst brauche im Moment kein Lichtwesen für den Aufstieg ins Nirwana, mir geht es um die Niederkunft meines Sohnes. 

Manjushri bzw. seine Inkarnation Manjughosasha (auch: Manjugosha) wird auf Statuen, die ich später auch in Tibet, Bhutan und Nepal gesehen habe, mit einem Schwert in seiner rechten Hand dargestellt. 
© Wikipedia.org
                         
Es ist das Schwert der Weisheit, das die Schleier der Unwissenheit zerschneidet und die Wolken der Ignoranz zerteilt. Manju, wie ich ihn amikal nenne, ist daher auch der Schutzpatron der Studierenden und der Gelehrten. Ich bin beeindruckt, sehe das als gutes Vorzeichen. Pa kann noch zulegen: er verschwindet für zwei Minuten und kommt mit einem Schwert zurück. Also doch ein – raffinierter - Souvenirverkäufer, denke ich kurz. Doch Pa schenkt mir das in einer Scheide steckende Schwert, ohne Gegenleistung. Es soll meinem zukünftigen Sohn beim Schleierschneiden helfen, ihm schildkrötenähnlich langes Leben und Weisheit sichern und darf ihm nicht vor seinem 32.Geburtstag übergeben werden. Ich bedanke mich, tief beeindruckt. Dann verabschieden wir uns, mein satter Guide und das Boot warten. Ich habe Pa nie wieder gesehen. 

Heute weiß ich, Manju und sein Schwert haben bei Sascha – so nannten wir unseren Sohn - gewirkt. Kein Wunder, dass einer seiner Lieblings-Comics als Kind die  (Teenage Mutant Hero)Turtles waren. An die vier schildkrötigen Kampfbrüder, deren Schlachtruf „Cowabunga“ war, erinnern wir uns auch heute gerne. Wenn ich mich recht entsinne, war sein Idol damals Leonardo, natürlich der mit dem Schwert. 
© Wikipedia.org
Später hat sich Sascha gleich einer Schildkröte durch die Oberstufe des Gymnasiums bewegt, hat mit leichter Unterstützung von Manju sein Studium erfolgreich absolviert. Schwebt heute über den Wolken der Ignoranz, verfügt über Empathie. Hat fast gute Ansätze für ein langes Leben. Das Nirwana besucht er schon jetzt ab und zu.

Hier kann ich auch für alle Zeiten den immer wieder auftretenden Irrtum aufklären, mein Sohn hieße Alexander (obwohl der Ur-Alexander, der „Große“,  ein ziemlich heftiger Schwertträger war) oder sein Vorname wäre ein russischer Kosename. Sascha ist die in Österreich anerkannte Kurzform von Manjughosasha, unserem Boddhisatva der Weisheit. 

14.Dezember 2014. Abends Feier im kleinen Kreis, schließlich ist es kein runder Geburtstag. Wenn ich meinem erstgeborenen Sohn in Pa’s Sinne das Schwert der Weisheit übergebe, ist das keine versteckte Aufforderung, noch ein bisschen an der persönlichen Weisheit zu  arbeiten, sondern offene Anerkennung. Wer mich kennt, kann sich vorstellen, mit welch Ernst und Würde die Übergabe kurz nach Mitternacht erfolgt ist. „Om-mani-co-wa-bun-ga“.




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